Helga Halbeck | © Melina Mörsdorf

TEXT Andrea Guthaus / FOTO Melina Mörsdorf

UNSER MIETER

Fischkopp mit großem Herz

 

Helga Halbeck hat in den Nachtclubs auf St. Pauli getanzt, gekocht und die Tresen geschmissen.


Inzwischen ist sie längst in Rente. Aber ohne Arbeit werden ihr die Tage zu lang. Also betreut sie den Fischmarkt – als gute Seele und Betreuerin der öffentlichen Toilette.

„Was soll ich Zuhause? Hier habe ich alles, was ich brauche“, sagt Helga Halbeck, die alle nur Helga nennen.

Der Aufenthaltsraum, der zu der öffentlichen Toilette auf der Großen Elbstraße gehört, ist so etwas wie ihr Wohnzimmer. Hier plaudert sie mit der Kundschaft, kocht sich ein Gulasch oder sitzt mit Freundinnen zusammen. Auf dem Tischchen am Eingang stehen Blumen und eine Schale mit Naschis für Kinder. Die Stadtreinigung kommt gerne vorbei, mancher Kolonne stellt sie ab und an einen Kuchen hin. Auf Helgas stillem Örtchen geht es ziemlich trubelig zu, sie hat für jeden Gast einen flotten Spruch und ein herzliches Lachen parat.

 

Den Fischmarkt kennt sie seit Kindesbeinen an, denn ihr Vater hat hier Fisch filetiert, ihre Oma Kabeljau und Seelachs vom Kutter verkauft. „Ich bin ein echter Fischkopp“, lacht Helga. Sie hat viel gesehen in ihrem Leben, zusammen mit sieben Geschwistern ist sie auf St. Pauli aufgewachsen. Mit 16 Jahren fing sie auf dem Kiez im Club Regina an – zuerst an der Theke, danach auf der Bühne. Später ging sie als Tänzerin auf Tournee, tingelte durch Clubs in ganz Deutschland. Immer mittendrin – so war es früher und so ist es bis heute bei Helga: „Hier auf dem Fischmarkt sind wir wie eine große Familie.“ Sonntagmorgen um 2 Uhr brüht sie für Aale-Dieter, Fisch-Heidi und Co. den ersten Kaffee auf. Die SAGA-Mieterin kennt jeden Händler und ist erste Anlaufstelle, wenn auf den Verkaufswagen etwas fehlt. Egal, wo der Schuh drückt, Helga weiß weiter oder kennt jemanden, der das Problem lösen kann. Dafür landen Kartoffeln, Kohl, Scholle und Lachs in ihrem Kühlschrank: „Eigentlich brauche ich gar nichts einkaufen.“

Wohnzimmer mit Ausblick

Der Sonntag ist ihr der liebste Tag, sie genießt den Fischmarkt-Rummel. Eine Pause gönnt sie sich erst, wenn Händler, Nachtschwärmer und Schnäppchenjäger auf dem Heimweg sind. Dann sitzt sie mit einem Kaffee auf der Bank vor dem Eingang ihrer Toilette, schaut auf die Elbe und erzählt von ihren Kindern, die sie beide allein großgezogen hat. Die Tochter führt mit ihrem Mann ein Restaurant in Eppendorf, der Sohn studiert Japanologie. „Ich bin stolz auf meine Kinder, beide sind wirklich tolle Menschen.“ Helga hat auch schwierige Zeiten hinter sich. Und trotzdem: Sie sagt, sie habe Glück gehabt. Deshalb will sie für alle da sein. Wenn nach Marktschluss belegte Brötchen übrigbleiben, verteilt sie diese an Obdachlose. Zwei Männer, die in der Nähe des Fischmarkt-Klos leben, dürfen sich bei ihr waschen. Einem macht sie sogar die Wäsche, stellt ihm manchmal eine Suppe hin.

In Wirklichkeit haben die meisten Leute nur Luxusprobleme, ob es Streit in der Familie oder Stress bei der Arbeit ist. Das muss man sich immer wieder vor Augen halten.

Helga Halbeck