TEXT Betül Pehlivan / FOTO Mike Schaefer

UNSER MIETER

Kunst, die unter die Haut geht

Hamburg ist die Stadt des Tätowierens.

 
Auf St. Pauli sind Tattoo-Ikonen wie Christian Warlich und Herbert Hofmann berühmt geworden. Heute sind mehr als 200 Tattoo-Studios in der Stadt verteilt. Das Studio Kool Tattoo von Sebastian Winter ist eines davon.

Inmitten des Kontorhausviertels mit seinen typischen roten Backsteinbauten blickt in der Springeltwiete ein Panther mit Sonnenbrille auf Passanten. Daneben zehn goldene Lettern, die verraten, was uns hinter der schwarzen Eingangstür erwartet. Nach einem kurzen Klingeln begrüßt uns ein Mitarbeiter und überreicht uns blaue Schuhüberzieher. „Kommt einfach durch“, ruft Sebastian Winter aus einer Ecke des Raums. Wir huschen durch die Schwingtür am Empfangstresen, auf dem „Enter as Strangers“ steht.


Auf einer Liege liegt Janelle, eine gute Freundin von Sebastian Winter. Er hält eine Nadel in der Hand und beugt sich konzentriert über ihren rechten Unterschenkel. Weiße Farbe schießt unter die Haut. Ein nahezu fertiger Drache ziert die Haut von Janelle. Auf einem Regal steht neben vielen Büchern eine pink leuchtende Neonlampe in Form eines Flamingos. Im Hintergrund läuft Country-Musik. Wir befinden uns. im Studio Kool Tattoo, das Sebastian Winter 2017 in einem SAGA-Gewerbeobjekt eröffnet hat.

 

Sein Berufsleben hätte auch anders verlaufen können. Nach einer Phase der Orientierungslosigkeit nach dem Abitur studierte er in Trier Kommunikationsdesign. Damals sah er das Tätowieren nicht als Karriereoption an. Doch ein Freund lebte ihm vor, was er sich insgeheim auch wünschte. „Einen Tag nach der Verteidigung meines Diploms bin ich in das nächste Tattoostudio gestiefelt und habe meine Mappe mit Zeichnungen abgegeben“, erzählt Sebastian Winter. Knapp vierzehn Jahre ist das jetzt her.

Präzisionsarbeit: Hier entsteht ein filigranes Kunstwerk.

Enter as strangers - leave as friends.

Sebastian Winter

Subkulturelle Einflüsse wie Musik und Graffiti waren seine ersten Berührungspunkte mit Tattoos. Bereits in jungen Jahren landeten erste Kunstwerke auf seinem Körper. Damals waren diese nicht weit verbreitet und in der Gesellschaft sogar verpönt. „Heute sind Tattoos im Mainstream angekommen. Auf TikTok und Instagram sind sie omnipräsent. Dort sehen wir, wie Profifußballer oder Influencer ihre neuen Tattoos präsentieren“, sagt der Tätowierer. Die ersten Übungsplätze des 41-Jährigen waren seine eigene Haut und die seines kleinen Bruders, von Freunden und WG-Mitbewohnern. Seinem Bruder hat er ein Star-Wars-Symbol aufs Bein gestochen. „Er hat so einige Schrott-Tattoos von mir verpasst bekommen. Wir sind aber noch sehr gute Freunde“, lacht er. Über die Jahre hat sich sein Stil gewandelt. „Japanische Motive liebe ich sehr“, sagt er. Dabei sei ihm wichtig, aus jedem Motiv sein eigenes Ding zu machen. „Ich bin kein Japaner. Ich möchte nichts simulieren.“ Seine Faszination für die japanische Tätowierkunst ist auch an den Wänden des Studios deutlich zu erkennen. Egal wohin das Auge wandert, trifft es auf schwarz gerahmte Motive mit Drachen, Tigern und Dämonen. Dazwischen blitzt die pinke Wandfarbe hervor.

Im Kool Tattoo gibt es an jeder Ecke etwas zu entdecken

„Japanische Motive sind komplex und gleichzeitig simpel. Es gibt eine riesige Welt, aus der ich schöpfen kann. Wolken, Wasser, Blüten und Jahreszeiten. Es gibt klare Regeln, die beachtet werden müssen“,

erklärt er.

Dabei gilt es eigene ästhetische Ansprüche mit Kundenwünschen in Einklang zu bringen. „Der Kunde kippt idealerweise sein halbes Glas mit Ideen aus und ich fülle das Glas dann auf“, sagt er. Nach etwa fünfzig Minuten wickelt Sebastian Winter das Bein von Janelle in Folie ein und streift die Handschuhe ab. Auf einem Stuhl wartet bereits die nächste Kundin. Bei ihr soll es mit einem Rückentattoo weitergehen. Wir verlassen das Studio durch die Schwingtür. Jetzt steht dort „Leave as Friends“ – und wie ein kurzer Schnack mit einem Freund fühlt sich unser Besuch auch an.

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